Seit zwei Wochen bin ich nun wieder in Deutschland und ich denke, ihr könnt euch vorstellen, wie ereignisreich und intensiv der letzte Monat mit der Auseinandersetzung des Abschiednehmens gewesen sein muss, aber auch wie überwältigend das Wiedersehen und die „neuen“ Eindrücke wieder hier zurück in Deutschland sind. Hierüber werde ich euch in diesem Blogeintrag erzählen, der auch als Abschluss meines Blogs über meine Zeit in Peru gelten soll.
Der letzte Monat galt vor allem dem Abschiednehmen und angefangene Projekte zu Ende zu bringen. Für die Kinder und Jugendlichen in den drei Programmen von CANAT haben Ende Juli die „Vacaciones divertidas“ (jeweils eine Woche Ferienfreizeit) begonnen. Hierfür kommen jedes Jahr aus Spanien von der Gruppe „Creciendo Juntos“ junge Erwachsene, die sich in dem Jahr davor intensiv auf den Besuch in CANAT vorbereitet haben und sich ein wunderschönes Programm für die Kinder und Jugendlichen in Piura ausgedacht haben. In dieser Zeit der „Vacaciones divertidas“ fallen die regulären Aktivitäten zum Teil aus und deswegen konnte ich mich auch schon vor der Ferienfreizeit von allen Kindern aus den Ludotecas und Manitos Trabajando verabschieden. Das war ganz gut, da somit nicht alle Verabschiedungen ganz am Ende waren. In meinen letzten Stunden in den Ludotecas habe ich im Abschlusskreis noch ein paar Worte an alle gerichtet und viele Kindern haben mir auch noch nette Worte oder Dinge mit auf den Weg gegeben. Hier war es sehr schwer sich persönlich von den Kindern zu verabschieden, da es einfach unglaublich viele sind, aber mit denen, mit denen ich über das Jahr einen sehr besonderen Draht gehabt habe, habe ich auch im persönlichen Stil die Möglichkeit gefunden mich zu verabschieden. Viele Kinder habe ich dann auch noch in den Ferienfreizeiten, die ich auch mitgestaltet habe und anwesend war, wiedergesehen. In Manitos Trabajando haben wir unsere letzte Kunst-Recycling-Stunde als Abschiedsstunde benutzt und eine Stunde mit Spielen (u.a. Schaumkusswettessen und Apfelfischen) vorbereitet. Hier haben wir ihnen auch die letzte Arbeit mit ihnen überreicht: gebatikte T-Shirts. Außerdem hatten wir einen Kuchen mitgebracht, den wir mit ihnen geteilt haben und kleine gebastelte Abschiedsgeschenke: Streichholzschächtelchen mit einem Freunschaftsarmband und einem netten Spruch drinnen. Die Kinder haben uns auch viele selbstgebastelte Abschiedsgeschenke und Fotos überreicht und uns sehr nette Worte mit auf den Weg gegeben. Von ihnen habe ich aber auch noch viele in der Ferienfreizeit wiedergetroffen.
Der Abschied von Flora war sehr schwer, weil die letzte Zeit mit ihr noch besonders intensiv war. Sie musste nochmal ins Krankenhaus eingeliefert werden, weil sie nicht mehr ansprechbar und kraftlos war und jeder dachte, sie stirbt. Im Krankenhaus wurden wir herzlich darauf hingewiesen, dass sie keine Zeit haben Flora anzugucken, da sie keine Krankenversicherung hat und hier eh viele Menschen am Tag sterben würden. Wie durch ein Zufall kam in dem Moment ein Freund von uns um die Ecke, von dem wir alle gar nicht wussten, dass er jetzt in diesem Krankenhaus arbeitet und er hat dann darum gekämpft, dass Flora sofort untersucht wurde. Flora hatte einen doppelt so hohen Bluthochdruck und war sehr instabil und durfte dann sogar noch über Nacht in der Klinik bleiben. Am nächsten Tag war sie wieder ansprechbar und wurde dann in das Haus von Alejo, einem ihrer Enkel, gebracht. Sie war so schwach, dass sie Essen und Trinken verweigert hat und wir sie dazu zwingen mussten. Nach ein paar Tagen ging es ihr immer besser. In dieser Zeit bin ich fast jeden zweiten Tag zu ihr gefahren, um zu gucken wies ihr geht und um mit ihr Zeit zu verbringen und sie zum Lachen zu bringen. Und dann plötzlich war auch schon der vorletzte Tag vor meiner Abreise und ich musste mich von ihr verabschieden. Das war für Flora und mich sehr schlimm, wir haben beide sehr geweint. Was schön ist, dass ich einen Freund, Rai, die letzten Male auch mit zu Flora genommen habe und sie sich sehr gut verstanden haben und er sie deswegen auch weiterhin besucht und er mir schon Sprachnotizen und Fotos zugeschickt hat. Diese turbulente letzte Zeit mit Flora hat mir aber von neuem bewiesen, dass Flora eine Inspiration für mich ist, weil sie in brenzligen Situationen immer wieder alle mit ihrer Kraft und ihrem Willen überrascht.
In der CREMP habe ich auch noch eine sehr schöne letzte Zeit mit den Patienten verbracht. Wir haben ein Lied und ein Tanz bei einer Aufführung am Tag des Vaterlandes, der sehr groß am 28. Juli in Peru gefeiert wird, aufgeführt. Danach haben wir aber auch noch eine Abschiedsstunde gemacht, bei der wir einen Kuchen und deutsche Schokolade mitgebracht haben und für jeden ein ausgedrucktes Foto und Freundschaftsarmband. Diese Verabschiedung war sehr schön, da keine bedrückende Stimmung im Raum lag und wie immer alle fröhlich aufgelegt waren. Nach unserer Abschiedsstunde hatte ich aber nochmal das Bedürfnis gehabt nochmal hinzugehen und an diesem Tag war der entgültige Abschied nochmal schwerer.
Jetzt fehlt von meinen Arbeitsstellen nur noch La Tortuga. Hier habe ich mich an meinem allerletzten Samstag verabschiedet. Den Morgen habe ich noch mit den Kindern am Strand genossen und in der Ludoteca haben wir viel gespielt und gemalt und am Ende haben wir auch zusammen Kuchen gegessen, manche Kinder haben mir Lieder vorgesungen, andere haben mir nette Worte und Umarmungen geschenkt und zur Krönung haben die Kinder mir ein riesiges bemaltes Plakat als Erinnerung überreicht.
Von meinen ganzen Kollegen habe ich mich auch sehr schön verabschiedet bzw. habe ich eine sehr schöne Verabschiedung bekommen. Mit allen Kollegen von CANAT sind wir zusammen Mittagessen gegangen. Das Team von den Ludotecas hat extra eine PowerPoint-Präsentation vorbereitet und mir ein paar Erinnerungen überreicht. Bei allen, mit denen ich mehr zu tun hatte, habe ich mich auch nochmal sehr persönlich verabschiedet.
Im Ganzen war ich sehr überrascht, dass ich bei den Verabschiedungen gemerkt habe, wie wichtig ich den Leuten geworden bin und wie sie meine Arbeit und Unterstützung wertgeschätzt haben.
An meinem letzten Tag war ich noch bis zwei Stunden vor dem Abflug beim Arbeiten und wurde dann von Don Hector, dem Fahrer von CANAT, Gabi, Rai, Lilith und Antonia (eine Freundin von Lilith aus Karlsruhe, die mir aber auch sehr wichtig geworden ist) zum Flughafen gebracht. Als ich bei der Gepäckkontrolle stand, sind auf einmal alle, mir sehr lieb gewordene Kollegen von CANAT mit einem riesigen Plakat hereingekommen und noch ein paar private Freunde, alle, um mich zu verabschieden. Das war sehr schön.
Endlich in Deutschland angekommen, hatte ich einen wunderschönen Empfang am Flughafen und am Abend auch noch von meinen Freunden und ich war sehr glücklich über das Wiedersehen. In meinen ersten Tagen hatte ich aber viel mit den mentalen und kulturellen Unterschieden zu kämpfen, es kam mir so vor, als würde alles vor meinem Augen wie ein Film ablaufen und vieles war für mich auch unverständlich und traurig. Mein schlechtes Gewissen, dass ich Menschen zurückgelassen habe, die gerade meine Unterstützung brauchen könnten, wurde von der Unbesorgnis der Menschen hier getrieben. Trotzdem wollte ich mich hier aber raus ins Leben stürzen, um alles wahrzunehmen und auf mich wirken zu lassen. Im Großen und Ganzen schätze ich viel mehr wert, was ich wir hier für einen Luxus haben – ich habe mich wie eine Prinzessin im Dschungel gefühlt (weil hier auch alles so schön dicht bewachsen ist). Gleichzeitig ist mein Blick aber auch viel sensibler geworden für die Probleme die es hier in Deutschland auch gibt.
Vielleicht interessiert es euch auch, wie ich meinen Freiwilligeneinsatz nun im Nachhinein, nach meinen ersten Tagen hier in Deutschland, bewerte: Ich bewerte die Zeit als ein wertvolles Geschenk. Ich würde keinen Tag als einen nutzlosen bezeichnen, ich habe mich immer brauchbar gefühlt. Ich bewerte die Zeit auch als Probe, da ich mich Herausforderungen annehmen musste. Ich bewerte die Zeit als Geben und Nehmen. Auch bewerte ich sie als das Leben und Momente leben. Ich bewerte sie als unendliche Liebe, lautes Lachen, viel Spaß und Humor, immer neue Aufregung, nicht fehlende Anstrengung und Stress, spürbares Vertrauen, „meine“ neue Kultur, schöne Sprache, liebenswerte, liebende Kinder und Jugendliche, individuell besondere Personen und Patienten, schlauchende Krankheit, spürbare Gelassenheit, nicht endende Hitze, Fürsorglichkeit und vieles mehr…
Was ich zu diesem Zeitpunkt das Wichtigste finde, was ich in diesem Jahr gelernt habe (positive Erfahrungen), möchte ich auch mit euch teilen: Ich habe gelernt, dass es keine Peinlichkeit gibt, ich habe gelernt über mich zu lachen, ich habe gelernt hingebungsvoll zu lieben und geliebt zu werden, ich habe eine Sprache gelernt zu sprechen und zu schätzen, ich habe gelernt mir ein Zuhause aufzubauen, ich habe gelernt spontan zu sein, ohne Charme vor vielen Leuten zu sprechen, Beziehungen und Vertrauen aufzubauen, sensibel zu sein, ich habe gelernt mich auf alles einzustellen ohne mich zu beschränken, ich habe gelernt sich frei von Sachen zu machen, ich habe gelernt hingebungsvoll und liebevoll mit jedem Menschen umzugehen, auf jeden individuell einzugehen, das Schöne in jedem und in allem zu sehen, ich habe auch gelernt stolz auf mich zu sein, so wie ich bin und meiner Frauenrolle in einem machistischen Land gut standzuhalten und mich nicht unterkriegen lassen und 1000 Sachen mehr!
Nun will ich euch noch sagen, welche Erfahrungen ich hier nach Deutschland mitnehmen möchte und hier in meinem Wirken umsetzen möchte: Mit all den wertvollen Sachen, die ich gelernt habe und mit meiner Sichtweise auf die Dinge will ich Leute durch mein Handeln und Reden anstecken und zum Nachdenken bringen. Ich habe alle Erfahrungen in und mit meinem Herz festgehalten und habe alles mit nach Deutschland gebracht und will es immer behalten und zur richtigen Zeit und in richtigen Momenten an die Menschen tragen. Ich will auf jeden Fall den Kontakt zu Piura nicht verlieren und könnte mir vorstellen Spendenprojekte für Piura auf die Beine zu stellen, aber auf jeden Fall will ich mich auch hier weiter um bedürftige Menschen kümmern und einen offenen Blick dafür haben wollen, wo man Anpacken kann und wo meine Hilfe gebraucht werden kann.
Zu guter und aller Letzt möchte ich euch nochmal ans Herz legen für mein Projekt in Piura zu spenden, weil es ein persönliches Anliegen von mir ist. Gleichzeitig hoffe ich aber auch, dass die Gesellschaft im Allgemeinen immer offener und sensibler wird, damit wir es gemeinsam schaffen, extreme Armut in der Welt zu überwinden. Jeder Beitrag hilft.
Empfänger: Jesuitenmission
IBAN: DE 61 7509 0300 0005 1155 82 (Liga Bank)
BIC: GENODEF1MO5
Verwendungszweck: X38221 Annelie Plachetka
Eure Annelie
Die Ausübung ist in sich selbst das perfekte Erwachen. Die Ausübung ist Erwachen, das Erwachen ist ohne Ende und die Ausübung ohne Anfang.
(Meister Dogen 1200-1253, Lehrer des japanischen Zen-Buddhismus)